Rezension:Golo Mann: Biographie -Tilmann Lahme

Der Autor des vorliegenden Buches Dr. Tillmann Lahme lebt als Historiker und Journalist in Göttingen. Er hat mit seiner Golo-Mann-Biographie ein betont faktenreiches Buch vorgelegt, das in fünf große Abschnitte eingeteilt ist, die ich mir an dieser Stelle zu nennen erlaube: Eine deutsche Jugend 1909-1933; II: In der Emigration 1933-1945; III: Zögerliche Rückkehr 1946-1958; IV Auf und ab; " I am getting important" 1959-1971; V: Späte Jahre: " Der Pfeil in meinem Köcher " 1971-1994.

Obschon ich Golo Manns berühmtes Werk " Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts " bereits als 17 jährige mit großer Begeisterung las, habe ich mich mit dem Autor selbst bislang nie näher befasst.

Bevor ich die Biographie zu lesen begann, blätterte ich zunächst neugierig in den beigefügten Fotoseiten, um mir ein optisches Bild von Golo Mann zu machen.

Golo Mann hatte als Kind bereits ein altes, gleichwohl sehr sympathisches Gesicht, das Ernsthaftigkeit, Gradlinigkeit und viel Nachdenklichkeit erkennen lässt. Diese Züge sind im Alter noch stärker zum Ausdruck gekommen. Offenbar waren dies seine Hauptwesenmerkmale.

Wer war dieser Mensch? Wodurch zeichnete sich sein Leben aus?

Golo Mann (geb. 27.3.1909 in München - gest. 7.4.1994 in Leverkusen) war ein Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, insofern ein von Geburt an privilegierter Mensch mit der Last eines Übervaters, an dem er sein Leben lang gemessen wurde und sich auch selbst letztlich an ihm maß, ein Mensch , der, aufgrund seiner Herkunft und seines Könnens viele Neider hatte, ein Mensch, der im Laufe seines Lebens, oft die Chance bekam, die Niedertracht seiner Mitmenschen kennenzulernen. Kein leichtes Los. Hier war Selbstbewusstsein gefragt. Golo Mann besaß es, trotz seiner vielen Depressionen, die sein Leben begleiteten und seinem Gesicht etwas Düsteres gaben, einen Ausdruck, den Menschen dann besitzen, wenn sie sehr oft gekränkt werden und sich in der Folge auch gekränkt fühlen.

Lahme beschreibt die " elende " Kindheit G. Manns ausführlich, berichtet von dem ängstlichen Kind, dem nach Aussagen seiner Mutter " etwas merkwürdig Gesetztes und Altkluges " anhaftete. Heiterkeit und Leichtigkeit sollen ihm als Kind abgegangen sein.

Man liest von den Tischgesprächen im Haus Mann und " den grausamen Idiotien der Eltern, so ungeheuerlich weit unter ihrem Niveau ". Der Stress, den Thomas Mann auf seine Kinder ausübte, war so groß, dass der Sohn sich auf die Konversation mit seinen Eltern bei Tisch vorbereitete, sich Notizen machte, um sich ohne zu missfallen, unterhalten zu können.

Man liest von seinen, später ebenfalls berühmten Geschwistern und seiner Beziehung zu ihnen und man erfährt, dass er ab 1918 das humanistische Gymnasium besuchte, allerdings nur ein mittelmäßiger Schüler war, trotz seiner hohen Intelligenz und seiner Begabungen.

Ab 1923 besuchte G. Mann die Internatsschule Salem. Lahme verdeutlicht breitgefächert die Lernziele des Internats, bei denen Charakter- und Willensbildung als auch ein Fairnessgebot an erster Stelle standen. Während seiner Schulzeit bereits wurde deutlich, dass Golo Mann, ähnlich wie sein Bruder Klaus, homosexuell veranlagt war. Der Schuldirektor von Salem vertrat die Ansicht, dass man mittels Willenstraining und Selbstüberwindung die homosexuelle Geschlechtsorientierung überwinden könne, weil er diese für nicht angeboren hielt. Das Unverständnis seines Umfeldes wird sicher für viel Kummer bei G. Mann bereits in jungen Jahren gesorgt haben. 1925 erlitt Mann seine erste Depression, der viele weitere in seinem Leben folgen sollten.

Nach dem Abitur begann er 1927 ein Jura-Studium in München, wechselte noch im gleichen Jahr nach Berlin, um dort Geschichte und Philosophie zu studieren. Berlin in jenen Jahren bot Anregung, Amüsement und Zerstreuung. Der Autor zeichnet ein klares Bild dieser Stadt Ende der 20er Jahre und lässt nicht unerwähnt, dass dem Dichtersohn viele Salons der Hauptstadt offenstanden, er eine Reihe bekannter Persönlichkeiten, wie etwa Josef Roth, Walter Benjamin und Alfred Döblin kennenlernte, aber engere Kontakte wegen seiner Unzulänglichkeit verhindert wurden.

Ab 1929 immatrikulierte sich Mann in Heidelberg mit dem Hauptfach Philosophie und den Nebenfächern Volkswirtschaft und Geschichte. Seine Absicht bestand darin in Philosophie zu promovieren. Mann studierte in Heidelberg bei Karl Jaspers, bei dem er seine Doktorarbeit zu schreiben gedachte. Jaspers überzeugte ihn parallel dazu Geschichte und Latein für das höhere Lehramt zu studieren.

Der Autor schreibt vom politischen Engagement des Studenten Mann in verschiedenen sozialistischen Studentengruppen und der Neigung der Professoren sich immer mehr von der liberalen Tradition zu lösen. Im Hinblick auf die NS- Bewegung schreibt Mann 1931, dass sie " geistig von so kläglicher Impotenz " sei, dass man kaum erklären könne, weshalb sich ihr so viele angeschossen haben. Mann wurde bald klar, dass man überzeugte Nationalsozialisten nicht bekehren könne. Durch sein Philosophiestudium bei Jaspers, so der Autor, der intensiven Beschäftigung mit Hegel und der politischen Arbeit in der sozialistischen Studentengruppe wuchsen Zweifel am ideologischen Fundament seiner sozialistischen Partei, am Marxismus. Mann begann die inneren Widersprüche zwischen Denken und Handeln bei sich selbst zu erkennen, die auf einer Mixtur aus Bohème, Großbürgertum und Intellektualismus beruhten.

Seine Doktorarbeit mit dem Thema " Zum Begriff des Einzelnen, des Ich und des Individuellen bei Hegel " bewertete Jaspers mit cum laude. Der Professor schrieb zwei Tage nach dem Rigorosum einen Brief an Thomas Mann, in dem er zum " verunglückten Examen " des Sohnes Stellung nahm. Über die Dissertation und die Folgen schreibt der Autor ausführlich und zeigt mit welchen inneren Nöten Golo Mann zu kämpfen hatte.

Es führt zu weit die einzelnen Stationen im weiteren Leben Manns in der zeilenbegrenzten Amazon - Rezension auszuleuchten.

Sehr packend geschrieben ist das Kapitel über die Emigration. Man erfährt wie Manns sozialistische Überzeugung bröckelte. Mann hatte die Vision eines gerechten, friedlichen, sozialistischen Europas , in dem die Klassenunterschiede beseitigt, der Nationalsozialismus überwunden, die Menschenrechte geachtet und Minderheiten geschützt werden sollten, ein Europa der Regionen, getragen von einer grundlegenden Aussöhnung der Feindmächte des Ersten Weltkrieges, also von einer freiwilligen Revision des Versailler Vertrages. Wie Lahme treffend konstatiert, hatte dieses hoffnungsvolle Bild , wenig mit der Realität der dreißiger Jahre zu tun.

Man liest von Manns Aufenthalt in Frankreich, wo er als Lektor für die deutsche Sprache arbeitete, von seinen Aufenthalten in der Schweiz bei seinen Eltern und der kollektiven Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft der Familie Mann.

Katia und Thomas Mann beschlossen 1938 in die USA zu emigrieren. 1939 folgte ihnen Golo, der allerdings wenige Monate später nach Zürich zurückkehrte.

Über seine Tätigkeit in Europa in den folgenden Monaten berichtet der Autor ausführlich.

Im Oktober 1940 schließlich emigrierte auch Golo Mann in die USA, wo er 1943 in die US-Armee eintrat, um auf diese Weise die Anti- Hitler-Koalition zu unterstützen.

Über Manns Engagement in Europa in der Kriegszeit wird man gut in informiert, das gleiche gilt auch für sein Ausscheiden aus der US-Armee und seine nie wirklich ernsthaften Versuchen in den USA Fuß zu fassen.

Es führt zu weit an dieser Stelle all die Stationen aufzuzählen, die Golo Mann in den Nachkriegsjahren durchlief, soviel nur: 1954 veröffentlichte er sein Buch " Vom Geist Amerikas ", eine Schilderung der Vereinigten Staaten aus europäischer Sicht, die ein Land voller Widersprüche aufzeigt und auch einen kritischen Blick auf die McCarthy-Ära enthält.

In den unmittelbaren Nachkriegsjahren bewegte Mann die Frage nach den Konsequenzen des 2. Weltkrieges für das politische Handeln ebenso wie für das historische Verstehen.

Manns intellektuelles Programm in jenen Jahren fasst Lahme wie folgt zusammen: " der Vergangenheit gerecht werden, aus ihr nicht die falschen Schlüsse für die Gegenwart ziehen; jeglichen Determinismus zurückweisen, den offenen Charakter der Geschichte und damit auch der Gegenwart betonen, zugleich den historischen Niederlagen, dem, was sich nicht durchsetzte, aber doch hätte durchsetzen können, gerecht werden; für das als richtig Erkannte streiten , " helfen ", gerade als Intellektueller."

Thematisiert wird natürlich auch Golo Manns Werk " Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ", das ich eingangs erwähnt habe. Es erschien im Juli 1958 und wurde auf Anhieb ein Bestseller.

Bestürzt hat mich die Feindschaft zwischen Adorno , Horkheimer und Golo Mann , die Lahme sehr erhellend erörtert. Die drei Herren kannten sich seit ihren Emigrationstagen.

Adorno und Horkheimer vereitelten die geplante Berufung Golo Manns als Professor an die sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Frankfurt am Main.

Die Intrigen Adornos und Horkheimers sind schon bemerkenswert und zeigen wie weit Intellektuelle gehen können, wenn sie ihre Pfründe in vermeintlicher Gefahr sehen.

Sehr interessant zu lesen sind in der Folge auch die Betrachtungen zu Golo Manns monumentaler Biographie über Wallenstein, wie auch seine späten politischen Betrachtungen und Einsichten.

Ein beachtliches Literaturverzeichnis verdeutlicht das akribisch wissenschaftliche Arbeiten Dr. Lahmes, der mit seiner glänzenden Biographie gewiss nicht nur Historiker erfreuen wird.




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