Rezension: Der Prozess-Kafka

Gegenstand dieses Romans ist nicht eine objektivierbare gesellschaftliche oder psychologische Realität. Stattdessen stellt Kafka die Bemühungen des Angeklagten Josef K. dar, durch immer neue Deutungen und Verstehenshandlungen das sich ihm entziehende Gericht dingfest zu machen und den Sinn des gegen ihn durchgeführten Verfahrens zu begreifen. Besagte Unternehmungen sind allerdings stets bloß subjektive Interpretationen und kommen von daher niemals an ihr Ziel, wie die in den Roman eingefügte und in ihm selbst wieder ausgelegte Legende " Vor dem Gesetz" andeutet. In ihr wird die Welt, jüdischen Traditionen folgend, als Schrift verstanden, in deren Sinn auch die vielfältigen Deutungen nicht einzudringen vermögen.

Obschon die Realität der Ämter, Kanzleien und Gerichtshöfe im Roman als unfassbar dargestellt werden, ist sie dennoch für den mit ihr Befassten tödlich. Erst die nahtlose und durch unzählige realistische Details beglaubigte Zusammenfügung der subjektiven Auslegung K.s mit dem Tode führenden Funktionieren des Gerichts verleiht dem Text seine schreckliche Folgerichtigkeit und verstörende Wirkung. Durch sie werden die gesellschaftlichen Zwänge und bürokratischen Systeme, die für die Freiheit des einzelnen tödlich sind, als aus den Zwangsvorstellungen der Individuen geboren entlarvt.
Das Paradox, dass sie sich als falscher Schein erweisen, zugleich jedoch in ihrer mörderischen Effektivität bestätigt werden, überträgt die Polarität von Hinfälligkeit und Übermacht in den Vaterfiguren der ersten Erzählungen Kafkas auf eine geselschaftliche Ebene und sichert auf diese Weise dem zentralen Motiv Kafkaschen Schreibens seine Allgemeingültigkeit.

Es geht in diesem Roman letzlich um die Selbstbefreiung des Dichters von seinem stark entwickelten Schuldgefühl.










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