Rezension: Schöne neue Welt

"O Wunder! Was gibts für herrliche Geschöpfe hier! Wie schön der Mensch ist! Schöne neue Welt, die solche Bürger trägt" (Zitat Shakespeare)

Was wäre, wenn wir alles Negative ausschalten könnten und nur noch Freude hätten? Elend, Krankheit und Not sind überwunden! Bei Problemen oder Stimmungsschwankungen gibt es Soma, die Fröhlichdroge. Vergöttert wird das Auto, die Anrede heißt nicht mehr seine Lordschaft, sondern seine Fordschaft.

Dieser Science Fiction Roman von Huxley zeigt merkwürdige Parallelen in unsere Jetztzeit. Noch nie haben Menschen so viele Drogen bzw. Stimmungsaufheller genommen wie heute. Wobei nicht primär Lust, sondern Leistungsbereitschaft und Machtwahn im Vordergrund stehen, selbstverständlich aber auch Ausstiegs- und Paradiesfantasien.

Der Fetisch Auto fährt im Zentrum unserer Gesellschaft, ganze Zulieferindustrien, fast alles klebt irgendwie daran. Bei Huxley wird das T verehrt, in Anlehnung an den Ford T. Sind wir wirklich so weit weg von der beschriebenen Huxley-Welt? Zu welchen Ergebnissen bringt uns die Genforschung, was könnte damit Negatives erzeugt werden? Ist Freiheit des Einzelnen erstrebenswert oder die kollektive Gleich-gültigkeit? Huxleys Roman ist ein Reflex auf den American Way of life und beschreibt - weil sich die Menschheit in einem Krieg mehr oder weniger selbst vernichtet hatte, im Jahr 146 AF, after Ford - eine diktatorische Weltregierung, die den Mensch nur deshalb überleben lassen kann, weil sie ihm seine negative Seite nimmt. Damit aber verliert der Einzelne auch die Freiheit zu entscheiden oder Gefühle zu empfinden, er lebt tierhaft vor sich hin, u.a. in Promiskuität.

Letzten Endes sehe ich den Roman als Aufruf zum freien Denken, zur Umkehr. Er wurde 1932 unter dem Eindruck tiefer weltweiter wirtschaftlicher Depressionen geschrieben. Es ist ein Manifest für die Freiheit, es warnt vor kommenden Vernichtungskriegen, vor Egoismus und Gier. Er warnt vor einer möglichen Diktatur, die Menschen sämtliche Freiheiten nimmt, ihnen aber immerhin das Glück gibt. Damit schrieb er weit über die 30er Jahre hinaus in eine Zeit, die nach der ultimativen Vernichtung kommen könnte. In der AF-Zeit des Romanes sind die (wenigen, noch freilebenden, nicht der Weltregierung angeschlossenen) Wilden ein Restbild unserer heutigen Gesellschaft und es gilt als schick, sich mit einem Kenner dieser "Wilden" einzulassen. Bernhard, der Kleinwüchsige genießt seine Kennerrolle der Wilden und benutzt seinen Status dazu, mit möglichst vielen Frauen zu schlafen. John, ein Halbwilder, liest Shakespeare und ruft zur Freiheit des Denkens auf, er vernichtet die Glücksdroge und verachtet die Banalität von Unterhaltungsmedien. Letzten Endes scheitert der versuchte Ausbruch aus der AF-Welt aber und die Helden des Romanes begehen Selbstmord (John) oder werden verbannt.
Kein Tod, kein Scheitern, keine Probleme - die Konsequenzen von Huxleys schöner neuen Welt sind das Glücksversprechen vieler heutiger Medien und Ratgeber. In der Konsequenz sind sie jedoch nicht erstrebenswert, so wie ewiges Wachstum kein Ziel sein kann. Das Ziel und der Aufruf dieses Romanes besteht darin, selbstverantwortliches, freies Denken auf jeden einzelnen zu übertragen, um die Probleme der Menschheit anzugehen, sie zu lösen. Ich denke nicht, dass wir heute in der schönen neuen Welt von Huxley leben, aber einige Facetten scheinen klar durch, sie sind in ihrer Wirkung ähnlich wie in dem Roman beschrieben. Es liegt an uns, diese Wirkungen zu erkennen und zu verhindern, dass wir zukünftige "Brut-, Aufzucht und Normdirektoren" erhalten. In vielen Bereichen der Neurowissenschaft sind solche Gedanken leider vorhanden.





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