Rezension:Was ich liebte - Siri Hustvedt

Nicht jeder lässt sich retten!

Personen mit überzogenen Egoismen sind das größte Unglück für menschliche Gemeinschaften jedweder Art! Das ist das Fazit dieses hervorragenden Romans, dessen Denkergebnissen ich ohne Einschränkung zustimme.

Siri Hustvedt stellt an einer Stelle ihres Buches fest, dass Menschen entgleisen, wenn sie keine Bereitschaft zur Einfühlung mehr haben und andere nicht mehr teil ihrer selbst sind, sondern verdinglicht werden. Wie sich diese Entgleisungen darstellen können, zeigt die Autorin anhand der Person Mark Wechslers, der seine Identitäten wechselt, wie andere Menschen ihre Socken. Das tut er, um seine Mitmenschen in die Irre zu führen sowie zu betrügen und Vorteile aus deren Gutgläubigkeit zu ziehen. Wer dieser Mensch ist und wie er agiert erfährt man von dem Ich- Erzähler Leo Hertzberg.

Hertzberg, ein Kunsthistoriker aus New York, lässt sein Leben Revue passieren und reflektiert die Beziehungen zu den Menschen, die ihm etwas bedeutet haben. Weil er sein Leben in dem seines besten Freundes - Bill Wechsler - widergespiegelt sieht, ist seine Lebensgeschichte auch ein wenig die von Bill, zumindest gibt es viele Überschneidungen. Die Interpretation künstlerischer Werke stand bei Leo im Vordergrund, bei seinem Freund war es das Malen selbst. Leo zeigt immer wieder auf, wie sehr beide ihre Arbeit liebten und wie sehr sie sich gegenseitig motivierten und zur Seite standen. In jungen Jahren verlebten sie gemeinsam mit ihren Frauen eine intellektuell und kreativ fruchtbare, glückliche Zeit miteinander.

Matt, Leos vielversprechender Sohn, verstirbt als Kind bei einem Unfall. Das hat zur Folge, dass sich seine Frau von ihm trennt, weil nach dem Verlust des Kindes ihre Liebe für ein gemeinsames Leben nicht mehr ausreicht. Nach der Trennung von seiner Frau rückt Leo ungewollt näher an seinen Freund und dessen Familie heran. Er wird Teil dieser Familie und fühlt sich alsbald mitverantwortlich für die Sorgen und Nöte, die in diesem Verband entstehen. Bill, der zu diesem Zeitpunkt schon ein arrivierter Maler ist, kümmert sich in Leos schweren Tagen täglich um ihn und versucht ihn behutsam aus der depressiven Stimmung zu heben. Die beiden haben ein innig geistiges, aber auch emotionales Verhältnis zueinander, sprechen viel und tiefgehend über Kunst, Kunsttheorie, Philosophie und Psychologie, aber auch über Literatur. All diese intellektuellen Exkurse sind interessant und spannend zu lesen. Man erfährt von Bills spezieller Technik, den Betrachter eines Bildes stets mit ins Bild einzubeziehen. Er möchte nämlich verhindern, dass der Betrachter seiner Bilder instrumentalisiert wird. Mit großer Hingabe versucht er sich sowohl durch sein Werk, als auch innerhalb seiner zwischenmenschlichen Beziehungen in andere einzufühlen. Aber seine Gegenüber bringen nicht immer das gleiche Engagement für ihn auf. Nur sein Freund Leo Hertzberg ist ihm vielleicht wirklich stets nah und begreift ihn in seiner Gesamtheit. Bills erste Ehe mit einer autistischen Dichterin scheitert. Ihr gemeinsames Kind Mark verbringt seine Kindheit abwechselnd bei seiner Mutter oder bei Bill, dessen neue Frau - Viola - sich intensiv um Marks Belange kümmert. Dieser entwickelt sich zu einem notorischen Lügner. Er gerät in den Sog von Drogen und Kriminalität und wird wegen seiner charakterlichen Deformationen psychologisch - leider erfolglos - behandelt. Bill, der sich unendlich mit Mark befasst, mag nicht glauben, dass dieser ein abgründiges Wesen besitzt. Bills diesbezüglicher Kummer lässt ihn rasch altern und schließlich zerbricht er an der Unverbesserlichkeit seines Sohnes. Seine Witwe Viola und sein Freund Leo versuchen, trotz unsäglicher Trauer um Bill, dessen gefühlskalten Sohn immer wieder aufzufangen. Resigniert erkennen sie schließlich , dass der junge Mann Menschen stets nur für seine egoistischen Zwecke benutzt und sie immer wieder anlügt und betrügt. Mark ist in irgendeiner Form charakterlich determiniert und offenbar nicht zu retten. Darin liegt die eigentliche Tragik dieses großartigen Romas, in welchem eine vormals glückliche Gemeinschaft wohlgesinnter Menschen durch die Selbstsucht eines Einzelnen zerstört wird.

Weshalb gibt es Menschen, die unrettbar im Käfig ihrer Selbstsucht gefangen sind? Warum kennen diese Menschen kein Mitgefühl? Wie kommt wirkliche Nähe und Verständnis zustande und wann ist Abgrenzung unbedingt erforderlich? Siri Hustvedt sucht nach Antworten auf diese Fragen und findet sie auch.

Empfehlenswert!





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