Rezension: Das Erbe der Mendelssohns: Biographie einer Familie von Julius H. Schoeps

Jüdisches Leben vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, aufgezeigt mit der Familie Mendelssohn


Die Geschichte der Familie Mendelssohn spiegelt die Entwicklung des Judentums in Deutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert beispielhaft wider. Der Autor hat verwandtschaftliche Beziehungen zu den Mendelssohn Bartholdys, bietet aber keine romantischen Verklärungen, sondern historisch genau recherchierte und spannende Hintergründe. Sechs Generationen und 50 Personen, die in diesem Buch beschrieben werden, gehen zurück auf den Philosophen & Aufklärer Moses Mendelssohn aus Dessau.

Moses Mendelssohn wurde 1729 in Dessau geboren, seine Muttersprache was das West-Jiddisch, als Kind lernte er noch Hebräisch und Aramäisch. Aufgrund seiner Hochbegabung wurde er schon mit 10 Jahren zum Talmudstudium zugelassen und kam schließlich in die Klasse des Oberrabbiners David Fränkel, der nach fast 200 Jahren eine Neuausgabe des "Führers der Unschlüssigen" in Arbeit hatte. Der 13-jährige arbeitete das Werk gleich nach dem Erscheinen 1742 durch. Als Fränkel nach Berlin berufen wird, folgt ihm Moses 1743. Er hat aber, wie alle anderen Juden, keinerlei Rechte. Man durfte damals nur einen sogenannten "nicht-zünftigen" Beruf ergreifen. Dazu gehörten u.a. Hausierer, Schächter, Stempelschneider oder Geldwechsler. Nach 7 Jahren Bettelstudent wurde er schließlich Hauslehrer, Buchhalter und Teilhaber bei einem jüdischen Seidenwarenfabrikanten. Abends brachte er sich im Selbststudium und mit Freunden weitere Sprachen, Philosophie und Latein bei. Er interessierte sich besonders für John Locke und studierte diesen auf Lateinisch. 1755 verfasste er die Philosophischen Gespräche und wurde bekannt mit der Übersetzung des Alten Testaments. Er trat für die Gleichheit aller vor dem Gesetz ein und bekannte sich zum jüdischen Glauben. Der "Berliner Sokrates" sprach Kirchen und Staaten das Recht ab, Menschen in Sachen des Glaubens und des Gewissens irgend einem Zwang zu unterwerfen.

Seine Kinder gingen teilweise andere Glaubenswege, die Söhne gründeten eine Bank, die schließlich 1936 arisiert wurde. Der Sohn von Abraham Mendelssohn, Felix, begründete einen zweiten Familienstamm, die Mendelssohn Bartholdys. Er wurde protestantisch getauft und im christlichen Glauben erzogen. Seine Eltern konvertierten 1822 zum Christentum. Seine Schwester Fanny wurde vom Vater, trotz ebenso guter musikalischer Anlagen wie Felix, in die Rolle der Hausfrau gedrängt, sie musste ihre künstlerischen Neigungen zurückstellen bzw. nur im privaten Kreis zum Besten geben. Sie schrieb sechs Jahre vor ihrem Tod an einen Freund in England: Komponiert habe ich in diesem Winter rein garnichts. Was ist auch daran gelegen, kräht ja doch kein Hahn danach und tanzt niemand nach meiner Pfeife." Ein Enkel von Moses, Karl Mendelssohn, wurde in Freiburg Geschichtsprofessor, am Ende verbringt er 20 Jahre in eine Schweizer Irrenanstalt.

Die Familien standen als national-liberale bzw. Konservative dem Kaiser bzw. Reich immer loyal gegenüber, ohne jedoch wirklich anerkannt zu werden. Nach 1933 trat ein Familienmitglied der NSDAP bei, viele mussten fliehen. Niemand wurde umgebracht, aber alle unterlagen bestimmen Schikanen.

Julius H. Schoeps konnte teilweise auf Privatarchive zurückgreifen, das Buch enthält eine Zeittafel und den Stammbaum. Der Autor, geb. 1942 in Schweden, ist mütterlicherseits ein Nachfahre der Familie Mendelssohn-Bartholdy. Er studierte in Erlangen und Berlin Geschichte, Geistesgeschichte, Politische Wissenschaft und Theaterwissenschaft. 1974-1992 war er Professor an der Universität Duisburg, seit 1992 ist er Professor für Neuere Geschichte und Direktor des MosesMendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam. Wer sich für die Hintergründe des Judentums in Deutschland interessiert, mit ganz persönlichen Schicksalen eine Annäherung an seine Entwicklung besser analysieren möchte, dem sei dieses hervorragende Buch empfohlen.


Rezension Helga König





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