Rezension: Die Sanfte- Dostojewski

Grund der Tragödie sind: falsche Konsequenzen aus Ohnmacht und Schuldgefühlen

Der Ich-Erzähler berichtet in dieser kleinen Erzählung von seiner glücklosen Ehe mit einer wesentlich jüngeren Frau, die sich wenig zuvor aus dem Fenster zu Tode gestürzt hat.

Wie konnte es zu diesem Selbstmord kommen?

Der fassungslose Ehemann, ein Pfandleiher mit problembelasteter Vergangenheit, lernt das junge, unbegüterte Mädchen kennen als es aufgrund ihrer Armut ihr letztes Hab und Gut bei ihm versetzt. Fasziniert ist er von dem ungebrochenen Stolz des Mädchens , das sich trotz seiner Lage auch von ihm nichts schenken lässt.

Wohlüberlegt hält er wenig später um die Hand der jungen Frau an.

Der gebildete Protagonist mit adeliger Herkunft wurde einst unehrenhaft aus dem Offiziersdienst entlassen, weil er sich dort einem Duell nicht stellte. Motiv für seine ablehnende Haltung war nicht Feigheit, sondern die kategorische Verwerfung des Tatbestandes. Als vermeintlicher Kontrahent fühlte er sich in seiner Ehre nicht angegriffen , sah folglich keine Veranlassung sich zu duellieren und stellte sich lieber den entehrenden Konsequenzen seiner Weigerung, die das gesellschaftliche Aus für ihn bedeuteten.

Als er nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst auch noch unverschuldet sein Erbteil verliert, weil der Gatte seiner Schwester das gesamte elterliche Vermögen bereits durchgebracht hat, landet er in der Gosse. Allerdings verstirbt seine alte Patentante unmittelbar darauf und vermacht ihm eine hübsche Summe, mittels der er sich das Geschäft eines Pfandleihers einrichtet, fernab von seinen früheren Erinnerungen.

Obgleich nun materiell etabliert, leidet er , weil er sich seit der damaligen Geschehnisse gesellschaftlich missachtet fühlt. Die einstige Situation hat ihn innerlich zerbrechen lassen.

Von seiner unbegüterten Gattin erwartet er Dankbarkeit und versucht sie in jeder Beziehung zu dominieren. Die Ohnmacht, die er einst seinen Vorgesetzten gegenüber fühlte und in der Folge auch der ihn ausgrenzenden Gesellschaft gegenüber festmacht, verwandelt sich nun in Machtgebaren gegenüber seiner von ihm abhängigen Frau. Er spürt, dass sie ihren Stolz ,trotz seines Verhalten, beibehält und versucht nun um so mehr ihre Persönlichkeit durch gezielt ablehnend, kaltes Verhalten zu brechen. Er fühlt sich durch ihren Stolz sozusagen verhöhnt.

Als seine Frau ihn schlafend wähnt, nimmt sie seine Waffe und hält diese an seine Schläfe. Sie entscheidet sich dann jedoch die Waffe unbenutzt in die Schublade zurückzulegen.

Der Gatte zeigt ihr durch noch eisigeres Verhalten, dass er ihre Tötungsabsichten mitbekommen hat.

Irgendwann erträgt der Ich-Erzähler sein eigenes Verhalten nicht mehr.

Er sehnt sich nach seiner starken Frau, wirft sich vor ihre Füße und bittet sie durch gefühlvolle Gesten um Verzeihung. Die Gattin beginnt zu weinen und scheint untröstlich zu sein. Dieses Verhalten setzt sich einige Tage fort, ohne dass die beiden sich aussprechen.

Der jetzt bedingungslos liebende Ehemann plant spontan eine Versöhnungsreise und verlässt das Haus für kurze Zeit, um die Reise zu arrangieren.

Als er zurückkehrt findet er nur noch ihren Leichnam vor. Die Gattin hat sich aus dem Fenster gestürzt.

Der Witwer ist entsetzt. Er weiß, dass er seine Frau in den Tod getrieben hat. Er ahnt, dass die stolze Gattin, aufgrund ihrer uneingestandenen Tötungsabsicht, schwere moralische Bedenken hatte, seine nun grenzenlose Liebe anzunehmen. Durch sein sich plötzlich bedingungsloses Zuwenden wurde sie von ihren Schuldgefühlen fortgetragen und zum Selbstmord veranlasst, obgleich der kurzfristige Wunsch ihren Mann zu töten, doch Folge seiner Gefühlskältetyrannei war.

Die Erkenntnis der kausalen Zusammenhänge löst bei dem Ich-Erzähler nun ebenfalls Schuldgefühle aus, mit denen er jetzt wohl alleine fertig werden muss.
Grund der vorliegenden Tragödie sind demnach die falschen Konsequenzen aus Ohnmacht und Schuldgefühlen.

Eine beeindruckende Erzählung, die verdeutlicht, wie wichtig ein aufrichtiger Dialog in zwischenmenschlichen Beziehungen ist.

Empfehlenswert .

Rezension Helga König





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