Rezension:Lotte in Weimar (DVD)

 Die Verfilmung von Thomas Manns Roman " Lotte in Weimar " war für mich besonders spannend anzusehen, einerseits um zu erkunden, ob es möglich ist Manns gedanklich und sprachlich wundervoll ausgefeilten Roman während einer Spieldauer von nur 119 Minuten filmisch auf hohen Niveau umzusetzen, andererseits der Bilder Weimars wegen. Seit der Wende habe ich mich schon vielmals in dieser Stadt aufgehalten und zumeist im Hotel " Elephant " gewohnt, dem Hotel, das seit den Drehtagen des Films 1975 eine völlig andere Gestalt angenommen hat und 1975 auch anders aussah als 1816 zum Zeitpunkt des Handlungsgeschehens, denn der alte " Elephant " wurde 1938 umgebaut. Hätte man die alte Kulisse besser nachbauen sollen? Ich meine nicht.

In besagtem Hotel steigt also die verwitwete Hofrätin Charlotte Kestner, geborende Buff, (Werthers Lotte) im September 1816 ab, um unter dem Vorwand eine Verwandte besuchen zu wollen, ihre alte Jugendliebe nach 44 Jahren nochmals zu sehen. Das Wiedersehen der zwölffachen Mutter mit Goethe(alias Werther) ist Gegenstand des Films und des gleichnamigen Romans von Thomas Mann. Charlotte( Lilli Palmer) wird im Film als eine realistische, lebenstüchtige Frau dargestellt, die ihre kleinen Eitelkeiten pflegt. Sie liebt es, wenn man sie im überschaubaren Kreise als " Werthers Lotte " bewundert. Schauobjekt der Menge will sie aber keineswegs werden.

Der diensteifrige Kellner Mager ist begeistert von Hofrätin Kestner und sorgt dafür, dass in Weimar schnell bekannt wird, dass Werthers Lotte im " Elephant " logiert. Vor dem Hotel stehen pausenlos neugierige Gaffer und arrivierte Bürger, wie Professor Riemer, Adele Schopenhauer, aber auch August von Goethe machen der Jugendliebe des Dichters die Aufwartung. Adele Schopenhauer, die der jungen Generation angehört, berichtet Charlotte sehr kritisch von dem damals 67 Jahre alten Goethe und erzählt ihr von den Problemen ihrer Freundin Ottilie von Pogwisch mit und deren Bräutigam August .

Als der alte Goethe von seinem Sohn erfährt, dass Charlotte Kestner in der Stadt weilt, ist er wenig begeistert und entscheidet sich dann doch für eine förmliche Einladung zum Essen in seinem Hause im Kreise seiner Freunde. Diese Personen am Tisch erscheinen als Werkzeuge für die Existenz des Genies. Er dominiert alle. Die Hofrätin nimmt er nicht wirklich wahr. Für ihn erscheint sie durch die Umformung zur literarischen Gestalt vorzeitig entseelt worden zu sein. Mit einem Wort sie interessiert ihn nicht mehr. Lotte fühlt sich als Fremde in der Umgebung Goethes. Sie beobachtet entsetzt den Alkoholkonsum seines Sohnes und die Teilnahmslosigkeit ihres Jugendfreundes im Hinblick auf August, auch beäugt sie die Eilfertigkeit der Gäste den Dichter intellektuell beeindrucken zu wollen.

Goethe lebt abgehoben in der Welt seiner Alterssprache im Weimarer Mikrokosmos. Er ist unverbindlich und zurückhaltend zu allen und sich seiner herausragenden Position natürlich sehr wohl bewusst. Im Grunde will er in Ruhe seinen Gedanken nachgehen und nicht durch Vergangenes belästigt werden, schon gar nicht durch vergangene Liebschaften. Der Film bewegt sich auf dem Niveau von Manns Roman. Das ist erstaunlich. Dazu beigetragen haben die beiden Hauptdarsteller, Lilli Palmer und Martin Hellberg. Der Drehbuchautor hat es geschafft die Botschaft des Romans in geschliffene Dialogen umzusetzen. Der Dichterfürst ist in diesem Film kein Gott, sondern eigenwilliger älterer Herr, der sich abzugrenzen weiß.

Der Weimarer Muff wird verdeutlicht als Ottlie ( Katharina Thalbach) " Santa Lucia" kräht. An Komik ist diese Szene kaum zu überbieten. Man huldigte dort bereits zu Lebzeiten Goethes seiner Legende und scheute sich vor keinerlei Stilblüten, übrigens sehr schön nachlesbar bei Böttiger:" Literarische Zustände und Zeitgenossen". Die 6. Sinfonie a - Moll von Gustav Mahler ist als Filmmusik eine vortreffliche Wahl. Die Kostüme sind stilecht nachgebildet worden. Auch die Außenaufnahmen sind beeindruckend, weil sie Zeitdokumente darstellen und die Stadt zeigen, wie sie zu DDR-Zeiten aussah. So sah ich Weimar 1990 das erste Mal. Ohne Zweifel war die Stadt vor der Wende authentischer, um Aufnahmen für diesen Film zu machen. Heute ist sie allerdings schöner. Das gilt auch für die Innenaufnahmen in der Amalia-Bibliothek vor dem Brand. Erfreulich, dass man an Originalschauplätzen gedreht hat, natürlich auch im Goethehaus. Dort hat sich seither kaum etwas verändert.

Sehr gelungen erscheinen mir die Rückblenden in die Zeit der alten Werthertage. Für mich war es nicht uninteressant einen Vergleich mit dem vor wenigen Tagen gesehenen Film Werther" anzustellen und zu überlegen, ob man grundsätzlich die beiden Filme in unmittelbarer Folge sich anschauen soll. Sollte man.
Ich empfehle dies nachdrücklich. Überzeugen Sie sich selbst.

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