" Willst Du den Charakter eines Menschen erkennen, dann gib ihm Macht." ( Abraham Lincoln),

Ach in ihrem neuen Buch befasst sich die Psychotherapeutin Christine Bauer-Jelinek mit dem Thema Macht. Sie lotet aus, was man unter diesem Begriff zu verstehen hat, unterstreicht , dass es helle und dunkle Seiten der Macht gibt und verdeutlicht, wie man seine Ziele durchsetzen kann, ohne die eigenen Werte preisgeben zu müssen.
Die Autorin rückt bei ihrer Machttheorie das Individuum in den Mittelpunkt und reduziert den Machtbegriff auf das Wesentliche ohne zugleich eine moralische Wertung vorzunehmen.

Bauer-Jelenik definiert: " Macht ist das Vermögen, einen Willen gegen Widerstand durchzusetzen."

Dabei muss Durchsetzung keineswegs auf dramatischen Streit oder eine endlose Grundsatzdiskussion hinauslaufen. Kampf ist nur eines von vielen Mitteln, das zum Einsatz gebracht werden kann.

Macht zu besitzen bedeutet, sich im Falle eines Widerstandes durchsetzen zu können.

Die Autorin fokussiert die innere und äußere Legitimation von Macht und konstatiert, dass Gesetze und Normen den Rahmen für die äußere Legitimation festlegen und Handlungen ohne äußere Legitimation als Machtmissbrauch zu beurteilen sind. Die innere Legitimation wird durch das eigene Wertesystem, durch das Gewissen festegelegt.

Die Autorin lässt nicht unerwähnt, dass Spannungen zwischen innerer und äußerer Legitimation Menschen unter starken Druck setzen, der über längere Zeit zu körperlichen und seelischen Krankheiten führen kann.

Um sich dieser Gefahr nicht auszusetzen, benötigt man, um sich erfolgreich durchsetzen bzw. verteidigen zu können, Klarheit über den Zweck des Handels, das Wissen über den rechtlichen Rahmen und die geltenden Normen, sowie ein bewusstes persönliches Wertesystem, an dem man sich orientieren kann. Bauer -Jellinek resümiert, je mehr die innere und äußere Legitimation in Deckung gebracht werden kann, umso geringer ist der Kraftaufwand und umso überschaubarer das Risiko.

Die Autorin setzt sich mit der Problematik von Werten auseinander und zeigt, dass sie in dialektischer Beziehung zueinander stehen. Nach ihrer Ansicht bilden sie Gegenpole der Extreme mit einer fließenden Skala.

Bauer-Jelinek zeigt detailliert die drei Etappen der Entwicklung zu einer autonomen Ethik, wobei der autonome Entscheidungsprozess schließlich wiederum drei Schritte umfasst: Differenzieren, Quantifizieren und Relativieren.

Es muss klar sein, dass rasch wechselnde Situationen die Fähigkeit verlangen zwischen den beiden Gegenpolen im Wertespektrum Relationen herstellen zu können. Die Autorin erwähnt in diesem Zusammenhang den Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick und dessen These vom " Kipp-Effekt", wonach ein positiver Wert nicht beliebig vermehrt werden kann, weil er sich ab einer gewissen Größe ins Gegenteil verkehrt.

Bauer-Jelenik nennt acht Quellen der Macht und setzt sich mit diesen textlich differenziert auseinander. Es handelt sich hierbei um: Die Macht der Materie (Körperkraft, Schönheit, Besitz, Geld etc.) , die Macht der Herkunft ( Familie, Universitäten etc.), die Macht der Mehrheit ( Vereine, politische Parteien, Interessengemeinschaften etc.) , die Macht des Gewissens ( Erkenntnis, Erfahrung, Information, Bildung), die Macht der Gefühle ( Das gesamte Spektrum von positiven und negativen Emotionen), die Macht der Funktion ( Ämter, Positionen verliehen von Hierarchien etc.), die Macht der Kontakte( Netzwerke, Seilschaften etc.) , sowie die Macht der Überzeugung ( Werte , Glaubensätze etc.)

In Interessenskonflikten wird jedes Verhalten zu einem Machtinstrument. Die Autorin verdeutlicht, dass die Machtinstrumente keiner Rangordnung unterliegen und dass ihre Auswahl strategisch geplant werden muss.

Ausführlich befasst sich Bauer-Jelenik mit den Ausdrucksformen und Insignien der Macht und fokussiert im Anschluss die vier Schauplätze, wo Macht ausgeübt wird.

Nach Sicht der Autorin sind die Spielregeln der Macht durch die Wertesysteme der Schauplätze bedingt und nicht durch das Geschlecht der Akteure. Sie begründet gut nachvollziehbar, weshalb geschlechtsspezifische Machtformen heute weitgehend unbrauchbar geworden sind.

Denkt man an die dunkle Seite von Macht, fallen uns Begriffe wie Gewalt, Zwang, Intrige, Korruption und Manipulation ein. Diesen Machtmissbrauch definiert die Autorin wie folgt: Machtmissbrauch liegt vor, wenn: Ein Machtverhältnis entgegen seiner Bestimmung ausgeübt wird, es ohne Übereinkunft errichtet, verändert oder aufrechterhalten wird oder sich jemand in der Ausübung der Macht selbst schädigt.

Es folgt eine dezidierte Ausleuchtung des Begriffs Gewalt mit der Schlussfolgerung, dass eine passive Form der Gewaltvermeidung, keineswegs zum Ziel führt, Gewalt vollständig zu eliminieren. Allerdings kann einen hohe Kompetenz im Umgang mit der Macht, dazu beitragen , dass Interessenkonflikte mit friedlichen Formen der Macht gelöst werden, bevor es zum Einsatz von Gewalt kommt.

Bauer- Jelenik weiß, dass mit etwas Übung es dem Einzelnen gelingen kann, die Machtmittel und die Intensität des Einsatzes selbst zu bestimmen, ohne dabei seine eigenen Werte zu verraten.

Gefühle sind im Zusammenhang mit Macht nur eingeschränkt brauchbar, stattdessen ist Strategie und Taktik angesagt.

Sehr gut beschrieben ist der Macht-Eskalations-Kontroll-Zyklus, durch den Konflikte sinnvoll bereinigt werden können.

Aufschlussreich ist die Liste der Verhaltensmuster einzelner Kampftechniken, die untergliedert sind in offene, passive und verdeckte Techniken.

Man sollte sich im Klaren sein wie unsere Gegenüber in Konflikten agieren, um ihnen kühl die Grenzen aufzeigen zu können.

Dass Macht nicht negativ sein muss, zeigt Bauer-Jeleniks anhand einer Auflistung, aus der hervorgeht, dass wirkliche Machtgestalter/innen Menschen sind, die mit Macht kompetent umzugehen wissen. Solche Personen beherrschen immer konstruktive Verhandlungstechniken, klären die Grenze zum Machtmissbrauch, überprüfen eigene und fremde Motivation, bewerten ein Risiko realistisch, können ehrlich verzeihen, und zeichnen sich durch Ausdauer, Geduld, Mut, Kreativität und vieles andere mehr aus.



Bauer-Jelenik fügt in ihrem Buch jedem Kapitel sehr gute Anregungen zur Selbstreflexion bei, die den Leser dazu motivieren sich mit den klugen Gedanken der Autorin noch intensiver auseinanderzusetzen und die eigenen Verhaltensmuster kritisch zu hinterfragen.



Da es im Leben ohne Macht nicht geht, macht es Sinn sich dem Thema intellektuell auseinanderzusetzen. Dieses Buch leistet einen sehr guten Beitrag.

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