Rezension :Das ethisch Gehirn

Naturwissenschaftlicher Determinismus führt in eine Sackgasse,


Physiologische Reaktionen und Mechanismen im Gehirn zu orten, ihrer Abfolge bestimmte Reaktionen zuzuordnen - das ist in der kausalen Weltsicht von Neurowissenschaftlern wohl heute das (oft mißverstandene) Maß der Dinge. Schon der gesunde Menschenversand sagt einem, dass dies nicht sehr wahrscheinlich ist. Denn der Wille ist keine Folge biologischer Gehirnfunktionen, der menschliche Geiste kann nicht einem strikten Determinismus im Sinne physikalischer Mechanismen zugeordnet werden.

Jeder entwickelt sein Gehirn auch durch Sozialisation, durch sein Umfeld und ist in der Lage, Alternativen dort abzulegen, sie zu bewerten und sinnvoll gemäß eigenem Wollen zu handeln. Kein Neurowissenschaftler kann deshalb aus Gehirnmessungen ableiten oder erklären, welche Handlungssmuster aufgrund bestimmter Konstellationen zu folgern wäre. Die Neurophysiologie hat in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt und entscheidend zum Verständnis von bestimmen Krankheiten wie beispielsweise ADHS beigetragen. Hier eine Differenzierung in psychologisch-umweltbedingte Einflüsse und reine Gehirnschäden zu erreichen, darin liegen die großen Hoffnungen. Aber nicht in Erklärungsmustern für menschliches Verhalten bzw. Entscheidungen.

Das Buch ist ein Plädoyer gegen das überbordende neumodische "Wie die Hirnforschung auf die Verhaltensmuster folgert" (meist sehr populärwissenschaftlich verpackt) hin zur ethischen Verantwortung, die vor allem auch Juristen eine Hilfe sein dürfte. Weil dort eine zu deterministische Hirnforschung im Grund jegliche Schuldzuweisungen schwer machen würde. "In der Jurisprudenz kann man aufatmen. Das unbequeme Schreckgespenst des Determinismus ist entlarvt und bis zum Vernachlässigen zurückgedrängt."
Professor Seidel beschreibt die wirkliche Funktion des Gehirns in seiner ethischen Ausprägung treffend: "Die Natur hat mit dem menschlichen Gehirn eine Möglichkeit geschaffen, die diejenige in der Genetik weit übertrifft. Sehr viel mehr neuartige Variationen können in kürzerer Zeit mit dem Verstand gedacht und auch realisiert werden als durch Mutation und Zellteilung auf der Basis der Genetik."

Das Buch ist ein gelungener Versuch, Ethik und Altruismus in den Vordergrund zu rücken: "Nur mit positiver Geisteskraft lässt sich der Nachteil des Egoismus neutralisieren." Unser Gehirn ist flexibel und überraschend genug, um mit Einsicht und Weisheit das Gute zu wollen. Wie wahr. Am Ende folgt ein Glossar der wichtigsten Begriffe, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Schlagwort-Index.

Empfehlenswert für alle, die hinter den Schlagwort-Begriff "moderne Hirnforschung" blicken wollen.

1 Kommentar:

  1. Das klingt sehr interessant und impliziert wohl eine Weltsicht, die realistischer ist als abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, die immer nur Kreuzungen sind von Meinungen, die oft eine ganze andere Route nehmen. Werde das Buch kaufen und lesen. Danke für Ihre aussagekräftige Besprechung.

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