Rezension : Lob der Vernunftehe: Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe von Arnold Retzer

Es gibt also kaum etwas Vernünftigeres als die Liebe für eine "Vernunftehe". ( Dr. Retzer

Der Arzt und Psychologe Dr. Arnold Retzer befasst sich in diesem Buch mit den Grundlagen einer gut funktionierenden Ehe.

Eine "Vernunftehe" ist für ihn eine solche, die auf Liebe setzt. Retzer konstatiert "Es gibt also kaum etwas Vernünftigeres als die Liebe für eine "Vernunftehe".

Der Alltag von Eheleuten ist, wie jeder weiß, nicht selten überfordernd. Nicht immer ist es einfach mit den Widerfahrnissen eines intimen Zusammenlebens zurechtzukommen.

Natürlich ist es zu Beginn einer Paarbeziehung einfach eine Liebesbeziehung zu haben. Erst die Organisation des gemeinsamen Zusammenlebens zeigt die Grenzen einer Liebesbeziehung auf.

Retzer lässt nicht unerwähnt, dass die Geburt des ersten Kindes die Liebesbeziehung massiv bedroht. Vieles muss neu ausgehandelt werden. Vereinbarungen und neue Entscheidungen müssen getroffen werden. Dies setzt einen vernünftigen Dialog, aber zunächst einmal die Bereitschaft dazu voraus. Wer in solchen turbulenten Zeiten seine Liebesbeziehung aufgrund der Organisationsprobleme auf Eis legt, sollte daran denken sie rechtzeitig von dort wieder wegzuholen, bevor das Verfallsdatum abläuft.

Ein reibungslos verlaufendes, perfekt organisiertes Leben kann dennoch den Eindruck entstehen lassen, das man füreinander nicht mehr bedeutsam sei und die Paarbeziehung einer austauschbaren Geschäftbeziehung gleichkomme. So entsteht das Gefühl der Einsamkeit, trotz funktionierender Zweisamkeit.

Beginnt man sich der Liebe zu verschließen, zerbricht die höchstpersönliche, exklusive, existentiell bedeutsame und dadurch sinnstiftende Beziehung, ganz gleichgültig wie gut das Zusammenleben organisiert ist.

Retzer erteilt ironisch sieben Vorschläge, wie man erfolgreich eine Ehe zum Scheitern bringen kann.

Wussten Sie, dass Personen, die vor der Paarbeziehung lange alleine gelebt haben, als trennungsgefährdet gelten?

Ist Ihnen bekannt, dass Zweitehen ein um bis zu 25% höheres Risiko haben geschieden zu werden und sich die Scheidungswahrscheinlichkeit erhöht, wenn die Eltern bereits geschieden wurden?
Dr. Retzer lotet die eigentlichen Probleme in Ehen aus und verdeutlicht wie wichtig es ist Probleme auch zu lösen, sich aber klar zu machen, dass man auch mit Restriktionen leben muss. Man sollte sich darüber klar werden, dass dauerhafte Beziehungen, dauerhafte Probleme, Konflikte und Themen haben, dass sich einen dauerhaften Partner auszusuchen auch heißt, sich einige dauerhafte Probleme auszusuchen.

Probleme, die mit dem persönlichen Lebensstil und den persönlichen Wertvorstellungen der Ehepartner zu haben sind in der Regel unlösbar.

Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von "resignativer Reife".

Er meint damit einen von Liebe unterstützten Reifeprozess von der Illusion des Vertragens hin zur Reife des Ertragens, die in der Haltung der Gelassenheit mündet.

Interessant finde ich seine Betrachtungen im Hinblick auf Gleichheit in der Ehe. Diese Vorstellung hat nicht selten Neid und Rache als Folge. Das vergleichende Beobachten geht nämlich mit dem Anlegen von Schuld- und Verdienstkonten einher und auch mit dem Anhäufen von Ansprüchen und Anrechten.

Wenn das Maß mit der Zeit nicht mehr tragbar ist, entstehen destruktive Konsequenzen, allen voran der Neid. Dieser verübelt dem Partner einen als positiv bewerteten Besitz, Erfolg oder Vorteil. Neid ist immer verzehrend nach innen. Er raubt stets die Kraft und macht unglücklich. Neid ist ein existentielles Gefühl eigener Minderwertigkeit und Wertlosigkeit. Von daher ist Neid zuallererst ein Leiden am eigenen Mangel, ein schmerzhaftes Bewusstsein eigener Unzulänglichkeit. "Selbstverachtung verbindet sich mit Ohnmachtsgefühl, das, was der Partner hat, nie erreichen zu können."

Neid, so Retzer, geht oft ein Bündnis mit Rache ein.

"Derjenige, der hasst, fühlt sich absolut berechtigt so zu denken, wie er denkt, so zu fühlen, wie er fühlt, so zu handelt, wie er handelt."

Und so findet man für das eigene innerliche Drama im Partner den Verantwortlichen. Er wird zum Sündenbock gemacht.

In einer Vernunftehe sollte man die Vorstellung von Gleichheit sehr skeptisch betrachten und sich davor hüten aufzurechnen. Nur Egomanen bemühen sich nicht um Fairness. Sein Gegenüber zu lieben setzt die Bereitschaft zur Fairness voraus. Fairnesss aber hat nicht zwingend vollkommene Gleichheit zum Ergebnis.

Der Autor macht unmissverständlich klar, wie wichtig Vergebung in einer Ehe ist. Die Entlastung kann darin begründet sein, dass keine Schuld mehr vergolten werden muss. Nur so kann der Blick in eine neue Richtung gelenkt werden. Durch Vergeben ist ein neuer Anfang, aber auch die Fortsetzung einer Ehe möglich. Es kann aber auch so sein, dass Vergeben das letzte Band zwischen Ehepartner auflöst, wenn die Kämpfe zuvor zu extrem waren. Das Vergeben bedeutet dann das endgültige Ende einer Ehe.
Retzer mach deutlich, weshalb das Erinnern und das Vergessen, aber auch das Lachen wichtig in einer ehelichen Partnerschaft und dass gute Gefühle kein Schicksal sind. Man muss sich um sie bemühen.

Bei allem aber ist Freundschaft zwischen Eheleuten ein entscheidendes Moment in einer Vernunftehe, ein weiteres wichtiges Moment ist die sinnvolle Abgrenzung.

Eine auf Liebe begründete " Vernunftehe" setzt gegenseitiges liebevolles Bemühen voraus. Nur dann hat sie eine Chance dauerhaft glücklich zu sein.

Ein interessantes Buch, das ich jungen Leuten ganz besonders ans Herz lege. Den Betrachtungen Dr. Retzers Gehör zu schenken, ist gewiss kein Fehler.








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