Rezension: Im Vorbeigehen- Hilde Domin -Andreas Felger-

Seit Tagen schon vertiefe ich mich in Arbeiten des 1935 geborenen Künstlers Andreas Felger. Sein Werk umfasst, wie ich mich mittlerweile kundig gemacht habe, Farbholzschnitte, Aquarelle, Ölmalerei, Skulpturen, Holzreliefs und Glasfenster. Im vorliegenden Buch  sind Aquarelle von ihm zu sehen, in wunderschönen mediterranen Farben, die die Gedichte Hilde Domins, welche im Buch ebenfalls enthalten sind , auf bemerkenswerte Weise visualisieren.

Viele der Aquarelle erinnern mich der Farben wegen an den Regenbogen, an die grenzenlose  farbliche Vielfalt des Südens, an immerwährende Veränderung und an Bewegung. Inmitten der bunten Farben war ich zunächst von einem Aquarell  mit einem schwarzen Balken irritiert. Nachdem ich mich in das Bild vertieft habe, wurde mir bewusst, dass dieser Balken der Vielfarbigkeit keinen Schaden zufügt, diese auch nicht verdüstert, sondern ihr Halt gibt. Wirklich toll gemacht.

Hilde Domin (1909-2006) zählt zu einer der wichtigsten Lyrikerinnen der Gegenwart. Studiert hatte sie einst Rechtswissenschaften, Nationalökonomie, Soziologie und Philosophie. Ab 1932 lebte die Jüdin im Exil in Rom, heiratete dort 1936,  um später zunächst in England, dann in  den USA und schließlich in der Domikanischen Republik zu leben.. Erst 1951 begann sie Gedichte zu schreiben, die später in insgesamt 22 Sprachen übersetzt wurden. Wie man dem Vorwort von Marion Tauschwitz entnehmen kann,  hat die Lyrikerin die Grundgedanken aus Spinozas Philosophie in ihre Gedichte eingeflochten. Ihr Leben lang blieb die Dichterin eine Suchende, das zeigt sich in den augewählten Gedichten.

Ich erlaube mir  an dieser Stelle  zwei Verse  eines Gedichtes zu zitieren, das die Lyrikerin  ganz feinsinnig als Suchende "outet":

Die Liebe
sitzt in der Sonne
auf einer Mauer und räkelt sich
für jeden zu sehn
Niemand hat sie gerufen
niemand könnte sie wegschicken
auch wenn sie störte
........
........
.........

Die Mauer ist leer wo die Liebe saß
Wohin ging sie als sie ging?
Selbst der Tod, selbst die Träne
lässt eine Spur.

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Sehr beeindruckend finde ich auch nachstehendes Gedicht. Es ist dem Aquarell mit dem schwarzen Balken zugeordnet, den ich selbst überhaupt nicht bedrohlich empfinde, wie ich bereits erwähnt habe.

In voller Fahrt

Wir sitzen in einem Zug
niemand fragt ob wir
aussteigen wollen
und fahren auf eine Brücke zu
und die Brücke wird brechen
Diese Brücke oder die nächste
wird brechen

Wie weh du mir tust
wie weh ich dir tu
wo wir dahinfahr´n
in solcher Eile
auf eine Brücke zu-
die nicht tragen wird.



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